07.12.2021: Online-Pressekonferenz der Krisenhilfe OÖ

Lockdown, homeoffice, distance learning, Kurzarbeit, Überlastung am Arbeitsplatz – die Corona-Pandemie fordert zur Zeit Übermenschliches von uns. Die Folge: Immer mehr Menschen fühlen sich psychisch massiv belastet und stehen am Rande der Verzweiflung. Aus diesem Grund veranstaltete die Krisenhilfe OÖ am 7. Dezember eine Online-Pressekonferenz zu dem Thema: „Hilflos in der Corona-Pandemie - wenn psychische Belastungen zum Dauerzustand werden“.

 

„Hoffnungslosigkeit, wütende Verzweiflung, Ausweglosigkeit und Zukunftsängste – das sind zur Zeit die Hauptgründe, warum sich Menschen an die Krisenhilfe OÖ wenden. Das Ohnmachtsgefühl, die Handlungsunfähigkeit und dass noch immer ‚kein Licht am Ende des Tunnels‘ zu erkennen ist, macht einige unter uns mutlos“, sagt die Leiterin der Krisenhilfe OÖ, Mag.a Sonja Hörmanseder. „Besonders belastet sind jene, die schon vor der Corona-Pandemie psychische Probleme hatten. Die Krise ist jetzt noch einmal das Öl im Feuer. Symptome psychischer Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen verstärken sich, Menschen mit Suchtproblemen kämpfen wieder vermehrt mit Rückfällen und Panikattacken nehmen zu.“

 

„In ExpertInnen-Kreisen wird davon ausgegangen, dass eine durchschnittliche menschliche Krise rund drei Monate dauert. Alles darüber hinaus ist für den menschlichen Organismus nicht mehr verkraftbar. Wenn man bedenkt, dass wir diesen Zeitrahmen schon weit gesprengt haben, ist eine Art Chronifizierung der Belastungen nur eine logische Konsequenz“, sagt MMag. Martin Schmid, Mitarbeiter der Krisenhilfe OÖ. „Auch Suizidgedanken können in Krisenzeiten häufiger auftreten. Hier sollte man rasch professionelle Hilfe aufsuchen. Wir wissen noch nicht, wie sich die aktuelle Situation in den tatsächlichen Suiziden niederschlagen wird, 2020 sind die Suizide in Österreich leicht gesunken (vgl. www.meduniwien.ac.at und Statistik Austria). Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Risikofaktoren für Suizide stark ansteigen: Aus der Forschung weiß man, dass Menschen, die sich selbst nicht als Teil einer wertgeschätzten Gruppe wahrnehmen und sich außerdem als Belastung für die Gesellschaft und andere sehen, dazu tendieren, an Suizid zu denken. Dabei spielt auch die bereits erwähnte Hoffnungslosigkeit eine große Rolle („Das wird nie wieder anders“) und gerade diese Hoffnungslosigkeit entsteht aufgrund der aktuellen Lage bei vielen Menschen.“

In Wien haben sich laut dem AKH Wien die Suizidversuche bei Jugendlichen verdoppelt. In Oberösterreich gibt es dazu keine aktuellen Zahlen. Allerdings sollte man diesen „negativen Trend“ auch hier weiterhin gut beobachten.

 

 

Steigende Kontaktzahlen in der Krisenhilfe OÖ

Es ist normal, sich in einer Ausnahmesituation Hilfe zu holen. Die Krisenhilfe OÖ bietet nicht nur rasche Hilfe am Telefon und per Onlinekrisenberatung – die MitarbeiterInnen kommen auch direkt nach Hause um „Erste Hilfe für die Seele“ zu leisten. Gerade das Mobile Angebot der KaT-Betreuungen (Krisenintervention nach akuter Traumatisierung), das Menschen vor Ort nach potentiell traumatischen Ereignissen unterstützt, wurde in den vergangenen Monaten häufig genutzt. Im Gegensatz zum letzten Jahr hat sich die Anzahl der KaT-Einsätze heuer um rund 20% erhöht. Auch die Dauer der Telefonate hat sich in den letzten Monaten wieder gesteigert, die Nachrichten und Korrespondenzen in der Onlinekrisenberatung werden umfangreicher, die Gesamtzahl der Krisenhilfe OÖ-Kontakte sind annähernd gleich geblieben.

„Wir sind in der Krisenhilfe OÖ sehr gut aufgestellt und vernetzt. Das heißt, wir können jenen, die sich an uns wenden, das passende Angebot bieten bzw. falls wir nicht die passende Stelle für das Anliegen sind, nach einer Erstabklärung, andere kompetente Anlaufstellen empfehlen“, sagt Sonja Hörmanseder.

 

Extrem belastende Arbeitssituation

Vielen Menschen setzt auch die Arbeitssituation zu: FFP2-Masken am Arbeitsplatz, überfüllte Intensivstationen, aggressive KundInnen im Verkauf, Zusatzbelastungen aufgrund erkrankter KollegInnen – all dies macht manche Arbeitssituation derzeit beinahe unerträglich. Wir hören täglich, dass insbesondere MitarbeiterInnen im Gesundheitsbereich und in pädagogischen Berufsfeldern an der Belastungsgrenze angelangt sind. Das niederschwellige Angebot der Krisenhilfe OÖ ist hier besonders wichtig. Auch Pflegekräfte, ÄrztInnen, ApothekerInnen, MitarbeiterInnen in den Impfstraßen und PädagogInnen können sich rund um die Uhr an uns wenden“, sagt Sonja Hörmanseder.

Viele MitarbeiterInnen leiden unter der steigenden Respektlosigkeit und dem aggressiven Verhalten der PatientInnen und KundInnen. Aufgestaute Frustrationen werden bedauerlicherweise oftmals an unschuldigen Menschen ausgelassen und erzeugen bei allen Betroffenen negative Gefühle.

 

„Mama, wann wird es denn endlich wieder einmal normal?“

Auch viele Kinder leiden unter den Corona-Einschränkungen. Sie sehnen sich nach Normalität, die Aufgabe der Erwachsenen ist es, ihnen diese so gut wie möglich zu gewährleisten. Hier stoßen Eltern und PädagogInnen an ihre Grenzen. „Kinder werden oft in Krisenzeiten übersehen, da die Erwachsenen gerade mit anderen Dingen beschäftigt sind. Einer der größten Belastungsfaktoren für Kinder und Jugendliche ist es, dass derzeit vonseiten der Erwachsenen bzw. der Gesellschaft wenig Sicherheit im Umgang mit der Krise vermittelt wird. Es ist sehr traurig, aber bei uns melden sich auch 13-Jährige, weil sie mit der Situation nicht mehr zurrechtkommen“, sagt Martin Schmid.

In einer kürzlich abgehaltenen Konferenz der Sozialversicherungsträger wird dieser „negative Trend“ bestätigt: Die Verabreichung von Antidepressiva ist bei jungen Menschen um 41% gestiegen.

 

Corona und Weihnachten

„Die Weihnachtszeit ist für viele Menschen mit Ritualen und Familienbesuchen verbunden. Wir verbinden die Zeit mit einem besinnlichen Idealbild, auch wenn der Stress zu Weihnachten bei manchen steigt. Soziale Einschränkungen sind in dieser Zeit noch belastender. Einsame Menschen fühlen sich in der Weihnachtszeit noch mehr alleine. Und wie schon erwähnt: Die Corona-Krise verschärft die Situation, auch weil die Problematik ganz konkret wird: Wenn der Christkindlmarkt, das Nachbarschaftsfest oder die Weihnachtsfeier in der Pfarre oder in der Arbeit ausfällt, dann haben wir ganz konkrete Dinge, die wir vermissen und um die wir heuer bereits das zweite Mal gebracht werden“, sagt Martin Schmid.

 

Krisen-Tipps in der Vorweihnachtszeit

Auch wenn jeder Mensch unterschiedliche Bedürfnisse hat und die Corona-Maßnahmen unterschiedlich stark belasten, so ist es wichtig, gerade jetzt auf die psychische Gesundheit zu achten.

 

Dazu gibt es 6 Tipps:

  1. Dosieren Sie die Informationsflut. Das entstresst.
  2. Bewegen Sie sich im Rahmen Ihrer Möglichkeiten. Spazieren an der frischen Luft, Gymnastik daheim etc. tut gut.
  3. Pflegen Sie soziale Kontakte. Wenn ein persönliches Treffen nicht möglich ist, steigen Sie auf Telefon oder Videotelefonie um. Planen Sie soziale Kontakte täglich in Ihren Alltag ein. Nutzen Sie auch Hotlines und Plaudertelefone.
  4. Strukturieren Sie Ihren Tag. Gerade im Homeoffice, in Quarantäne und in der Kurzarbeit sind strukturierte Abläufe und fixe Rituale wichtig.
  5. Akzeptieren Sie Dinge, die Sie nicht ändern können. Das spart Energie und schont die Nerven.
  6. Nehmen Sie sich Auszeiten. Ein Buch lesen, ein Hobby (re)aktivieren, ein wohltuendes Bad nehmen, einen guten Film ansehen und dabei einen Tee trinken - nehmen Sie sich Zeit für sich.

 

Die Unterlagen zur Pressekonferenz können Sie sich im Anhang herunterladen:

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KHOÖ PK, 7.12.21.pdf
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