15.05.2023: Fähigkeiten und Stärken im Arbeitstraining erkennen: arbeitspsychologische Diagnostik

v.l.: Mag. Dr. Reinhardt Forster, Mag. Markus Sautner
v.l.: Mag. Dr. Reinhardt Forster, Mag. Markus Sautner

pro mente OÖ bietet in 16 Betrieben in ganz Oberösterreich Arbeitstrainings für Menschen, die psychisch belastet sind. Dort können sie wieder gesundheitliche Stabilität erlangen, ihre beruflichen Kompetenzen ausbauen und neue Talente entdecken. Das Ziel der Trainingsteilnahme ist der Wiedereinstieg in das Berufsleben.

 

Dabei spielt die arbeitspsychologische Diagnostik, die in den ersten drei Monaten des Arbeitstrainings erfolgt, eine Schlüsselrolle. Mit Reinhardt Forster und Markus Sautner vom Geschäftsfeld Arbeit werfen wir einen Blick hinter die Kulissen des Arbeitstrainings und erklären, was hinter diesem Begriff steckt.

 

"Die Menschen, die zu uns kommen, haben mit Depressionen, Erschöpfungszuständen oder psychosomatischen Erkrankungen zu kämpfen. In letzter Zeit beobachten wir auch vermehrt Persönlichkeitsstörungen oder Suchterkrankungen. Dazu kommt, dass viele unserer TeilnehmerInnen langzeitarbeitslos sind. Manche sind bereits länger als zehn Jahre arbeitslos. Dann ist es schwierig, den sich ständig ändernden Anforderungen des Arbeitsmarkts gewachsen zu sein. Auch bereits lange zuvor erworbene Qualifikationen können ihren Wert verlieren, weil sie z. B. in dieser Form nicht mehr am Arbeitsmarkt gefragt sind.

 

Anfänglich geht es im Arbeitstraining darum, sich psychisch zu stabilisieren und sich mit dem Betrieb vertraut zu machen. Erst in einem längeren Prozess kann sich dann auch die Rolle der Menschen, die zu uns kommen, verändern – von der PatientInnenrolle zu einer ArbeitnehmerInnen-Rolle", beschreibt Reinhardt Forster den Einstieg ins Arbeitstraining.

 

Wie kann es gelingen, Menschen, die schon länger in keinem Arbeitsverhältnis stehen, in 15 Monaten Arbeitstraining bestmöglich auf den Arbeitsmarkt vorbereiten?

"Das Arbeitstraining basiert grundsätzlich auf zwei Säulen, die fachliche und die psychosoziale Trainingsanleitung. Die fachliche Trainingsanleitung unterstützt dabei, die notwendigen professionellen Fähigkeiten und Fertigkeiten, z. B. kaufmännische, handwerkliche oder technische, wieder oder neu zu erlernen.

 

Bei der psychosozialen Trainingsanleitung betreuen SozialarbeiterInnen, PsychologInnen oder SozialpädagogInnen die TeilnehmerInnen. Sie sind vom ersten bis zum letzten Tag AnsprechpartnerInnen in allen psychosozialen Belangen: Das reicht von der Krankheitsverarbeitung über das Bewerbungscoaching und Krisengespräche bis hin zu einer Beratung bei Schulden oder Problemen in der Familie. Es handelt sich dabei also um eine intensive Arbeitsbeziehung, sowohl TeilnehmerInnen als auch BetreuerInnen sind 37 Stunden in der Woche gemeinsam vor Ort", erklärt Forster.

 

In OÖ bezogen oder beziehen Tausende Menschen aufgrund einer psychischen Erkrankung Rehageld. Sehr viele Menschen sind also aufgrund einer psychischen Erkrankung zumindest vorübergehend arbeitsunfähig. Manchen dieser Menschen gelingt mithilfe eines Arbeitstrainings der Wiedereinstieg ins Berufsleben nach langer Krankheit. Wie setzt sich nun allgemein die Gesamtheit der TeilnehmerInnen im Arbeitstraining zusammen? 

 

„Das Alter eines Großteils unserer TeilnehmerInnen bewegt sich zwischen 35 und 55 Jahren. Hier bleiben die Zahlen relativ konstant. In den letzten Jahren fällt aber auf, dass vor allem der Anteil der jungen Menschen deutlich gestiegen ist. Das sieht man auch in unseren Betrieben. Das ist die Generation 20+, oft ohne Erfahrung am Arbeitsmarkt und ohne Ausbildungsabschluss. Wir sehen das einerseits positiv, da junge Menschen noch mehr Entfaltungsspielraum haben. Andererseits ist es schwierig, wenn jemand schon in jungen Jahren diesen problematischen Situationen ausgesetzt ist und Erfolgserlebnisse praktisch nicht vorhanden sind. Hier sind vor allem die Leistungen von pro mente Jugend gefragt. Mit Angeboten wie der start.box oder der chat.box stellen wir online Kontaktmöglichkeiten her und versuchen so die Jugendlichen zu erreichen.

 

Was bedeutet nun der Begriff arbeitspsychologische Diagnostik? Was kann man sich darunter vorstellen?

Markus Sautner erklärt: "Die arbeitspsychologische Diagnostik ist ein evidenzbasiertes und überwiegend computergestütztes Verfahren und wird von den Klinischen Psychologinnen Rita Eichlehner und Karoline Iglseder seit April 2022 an unseren Standorten durchgeführt. Die ‚Safari‘, wie wir sie nennen, findet ab der sechsten Woche der Trainingsteilnahme statt und dauert ca. drei Stunden. Dahinter stehen wissenschaftlich fundierte Diagnostikinstrumente, die Auskunft über kognitive Fähigkeiten und Stärken, Arbeitsengagement, psychische Widerstandskraft oder Beschwerden und Stressverarbeitungsstrategien geben.

 

Hier geht es auch um Haltungsfragen: Welchen Wert hat Arbeit für mich oder wie sehr bin ich bereit, mich einzubringen, und wie gehe ich mit Stress und mühevollen Situationen um. Auch die allgemeine Befindlichkeit wird abgefragt, oder welche Aktivitäten das Alltagsleben bestimmen. Wir schauen also auf Begabungen oder Kompetenzen und unterstützen bei der Definition möglicher weiterer Trainingsziele und Entwicklungsmöglichkeiten.

 

Anschließend bekommen die TeilnehmerInnen ein qualifiziertes Feedback. Dieses Rückmeldegespräch erfolgt gemeinsam mit der Psychologin und der/m SozialarbeiterIn. Ich erfahre also dabei viel über mich selbst, was mir im besten Fall weiterhilft. Oft klaffen auch das Fremd- und Selbstbild auseinander. Man hat sich selbst anders eingeschätzt. Aber das kann auch eine Erkenntnis sein.

 

All diese erhobenen Fähigkeiten und Stärken können dann im laufenden Training weiterentwickelt werden bzw. auch zusätzlich notwendige Ressourcen erarbeitet werden. Gleichzeitig kann durch die ermittelten intellektuellen Fähigkeiten auch dahingehend Rücksicht genommen werden, indem man die Ziele entsprechend anpasst und festlegt. In einer Frage zusammengefasst lautet unser Auftrag und unser Ziel: Wie kann ich die Menschen in diesem 15 Monate dauernden Arbeitstraining bestmöglich auf den Arbeitsmarkt vorbereiten?

 

Ziel kann auch sein, eine neue Ausbildung zu beginnen oder sich so weit zu stabilisieren, dass eine Lehre abgeschlossen werden kann. Darum starten wir sehr frühzeitig mit der Diagnostik, denn diese liefert wichtige Anhaltspunkte zur Schulungs- und Lernfähigkeit.

 

Insgesamt sehen wir die arbeitspsychologische Diagnostik als wertvolles Werkzeug und als wesentliche Weiche für den weiteren Werdegang. Ergänzt wird das Bild mit Rückmeldungen aus der täglichen Arbeit im Betrieb – eine runde Sache also."

 

Das Tool wird derzeit flächendeckend in allen Arbeitstrainingszentren von pro mente OÖ im ganzen Bundesland eingesetzt. Insgesamt durchlaufen mittlerweile ca. 260 TeilnehmerInnen pro Jahr dieses Angebot. „Die arbeitspsychologische Diagnostik wird auch von den AuftraggeberInnen, wie dem AMS OÖ, sehr geschätzt. Mit der arbeitspsychologischen Diagnostik erhalten die TeilnehmerInnen ein wirksames Rüstzeug für ihre berufliche Zukunft“, ergänzt Reinhardt Forster abschließend.