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„Nicht aufgeben und beharrlich sein“: Interview mit Prof. Dr. Werner Schöny

Der Psychiater Prof. Dr. Werner Schöny war ärztlicher Direktor der ehemaligen Landesnervenklinik Wagner-Jauregg in Linz (heute Neuromed Campus) und Obmann von pro mente OÖ. Im Interview anlässlich seines 80. Geburtstags blickt der heutige Ehrenpräsident von pro mente OÖ auf eine beeindruckende Lebensleistung zurück. Mehr als drei Jahrzehnte lang hat er die Geschicke von pro mente OÖ gelenkt und die Organisation als zentrale Säule der psychosozialen Versorgung in Oberösterreich positioniert. Prof. Dr. Werner Schöny setzte sich stets für die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen ein. In seiner Zeit bei pro mente OÖ forcierte er innovative Projekte und stärkte das öffentliche Bewusstsein für die Bedeutung von psychischer Gesundheit. Dabei verstand er es, sowohl gesellschaftliche als auch politische Veränderungen voranzutreiben, die das Leben vieler Menschen nachhaltig verbesserten. 

Herr Prof. Schöny, Ihr 80. Geburtstag ist auch ein feierlicher Anlass, um einen Blick auf Ihre Verdienste und Ihre berufliche Laufbahn zu werfen. Gibt es etwas, das Sie mit ganz besonderem Stolz oder mit Freude erfüllt, wenn Sie auf Ihren Werdegang blicken?

Prof. Schöny:

Hier fällt mir natürlich als Erstes die Entwicklung von pro mente ein, mit der ich 1970 das erste Mal in Berührung kam. Der Verein war eine Idee des einstigen Gründers und Leiters, Primarius Schnopfhagen. Damals gab es lediglich ein Sekretariat und eine sogenannte Fürsorgerin – so hieß das damals –, die für die Klinik gearbeitet hat. Zu der Zeit gab es eine Drogenwelle, die erste große Drogenwelle. Linz war neben Wien ein Hotspot. Die bestehenden Strukturen waren überfordert mit den vielen jungen Menschen, die anfingen, Haschisch zu rauchen oder Heroin zu nehmen. Als junger Herr Doktor mit langen Haaren konnte ich ganz gut mit diesen Patient*innen umgehen. 1971 wurde die Drogenberatungsstelle Point in Linz gegründet. Daraus hat sich pro mente entwickelt – und ich durfte mitgestalten. Auf diese Entstehungsphase blicke ich gern zurück, weil es ist schon eine bemerkenswerte Genese ist, wenn man bedenkt, dass pro mente OÖ nun 1.500 Mitarbeiter*innen beschäftigt. Psychische Gesundheit ist heute in aller Munde und ich glaube, pro mente hat einen großen Beitrag zu dieser Entwicklung geleistet. Darum beneiden uns auch viele im Ausland.

Sie haben sich ganz früh in Ihrer medizinischen Karriere dem Thema psychische Gesundheit verschrieben. Aus welchen Gründen? Also was hat Sie angetrieben bzw. hat es ein Schlüsselerlebnis gegeben? 

Prof. Schöny:

Mich hat schon damals, als ich in der Schule die sechste Klasse besuchte, der Psychologieunterricht fasziniert. Ich bin zwar mit diesem Psychologielehrer am wenigsten zurechtgekommen, warum weiß ich nicht, aber er hat gut vorgetragen. Später wollte ich deshalb eigentlich auch Psychologie studieren. Doch in der Berufsberatung gab mir jemand den wertvollen Rat, besser ein Medizinstudium zu absolvieren und Psychiater zu werden. 

Sie haben insgesamt 55 Jahre bei pro mente gearbeitet und über drei Jahrzehnte lang als Obmann die Entwicklung dieses Vereins sehr maßgeblich geprägt. Was sind für Sie besondere Meilensteine in der Entwicklung gewesen?

Prof. Schöny:

Der erste Meilenstein war das bereits erwähnte Point. Der nächste große Schritt wurde im Bereich der Krisenintervention gesetzt. Dort konnten Themen behandelt werden, die in der Öffentlichkeit noch stark stigmatisiert waren oder gar nicht wahrgenommen wurden. Suizid und Depression galten als absolute Tabus. Da haben wir in Oberösterreich beschlossen, etwas zu unternehmen, um diese Situation zu verbessern. Wir fanden eine gute Basis für die Zusammenarbeit mit den zuständigen administrativen Einrichtungen des Landes und der Politik. Es gab natürlich Hindernisse, weil psychische Gesundheit noch kein so zentrales Thema war. Doch unser Vorgehen umfasste keine aggressiven Forderungen, sondern den beständigen Hinweis, dass man schon einiges tut, es aber noch mehr sein muss. Wobei gekämpft haben wir tatsächlich viel, es stand damals die große Psychiatriereform an – mit Basaglia in Italien. Da sind die einen auf die Straßen gegangen und haben demonstriert. Wir waren leiser, haben aber Schritt für Schritt konsequent Dinge auf den Weg gebracht. Zu einem weiteren Meilenstein zählte natürlich die Enthospitalisierung der Langzeitpatient*innen. Das gelang nur mit Hilfe der Aktivitäten von pro mente. Und es war schon damals ganz, ganz wichtig, dass wir mit gemeinsam mit einer Stimme nach außen auftraten.  

Wir haben unsere Vorhaben auch immer konkret veranschaulichen können.  Im Rahmen von außerstationären Einrichtungen konnten wir nachvollziehbar darstellen, dass wir etwas zum Wohnen, zum Arbeiten, zum Beraten brauchen. Das Bewusstsein, dass psychische Gesundheit wichtig ist, wurde natürlich viel größer. Ein Beispiel: Ich hielt damals Vorträge zum Thema psychische Gesundheit in sicherlich rund 80 österreichischen Städten. Die Teilnehmenden waren zu 95 Prozent Frauen. Das hat sich im Lauf der Jahrzehnte völlig gewandelt. Mittlerweile sind auch sehr viele Männer zu Gast bei derartigen Veranstaltungen. Zu jenem Zeitpunkt ging es etwa auch um ganz einfache Dinge, z. B. Nein sagen zu lernen, das war in diesen Tagen noch nicht üblich bei Frauen. 

Sie haben eben bereits darüber gesprochen. Der Blick auf psychische Gesundheit hat sich stark verändert. Wie erleben Sie diese Veränderung?

Prof. Schöny:

Ich glaube, wir müssen immer noch daran arbeiten, dass „psychisch krank“ den gleichen Stellenwert erhält wie jede andere Krankheit auch. Nehmen wir als Beispiel Burnout, das einerseits zu schweren Depressionen und Störungen führen kann. Andererseits müssen wir aufpassen, dass diese Begrifflichkeiten nicht missbraucht werden. Grundsätzlich gilt jedenfalls nach wie vor, dass man mit „etwas Psychischem“ schnell abqualifiziert wird. Wir haben dafür gekämpft, dass sich das ändert – und dafür kämpfen wir immer noch.  

Was müsste geschehen, damit die Entstigmatisierung weiter voranschreitet? Sind wir auf einem guten Weg?

Prof. Schöny:

Meine Habilitation stand im Zeichen dieses Themas und ja, ich glaube, die Entstigmatisierungsarbeit hört nie auf. Wir bei pro mente sind in diesem Sinne alle Öffentlichkeitsarbeiter*innen. Doch es ist auch nicht alles Stigma, was manchmal vorgebracht wird. Psychische Krankheiten dürfen nicht benutzt bzw. vorgeschoben werden. Hier die Balance zu finden, kann mitunter schwierig sein. Aber wenn ich zurückdenke, wird auch deutlich, dass manche Leute sogar Angst hatten, ich könne sie durchschauen, weil ich Psychiater bin. Insofern hat sich im Umgang mit diesem Thema schon sehr viel geändert. 

In den psychiatrischen Kliniken oder Abteilungen werden aktuell sehr viele Patient*innen behandelt. Welche Entwicklungen würden Sie sich für die kommenden Jahre wünschen? 

Prof. Schöny:

Es wäre ganz wichtig, die extrem angespannte Personalsituation zu stabilisieren und die Dezentralisierung der stationären Psychiatrie weiter voranzutreiben. Ich erachte den psychiatrischen Bereich auf jeder Ebene als einen sehr spannenden Beruf, spannender als viele andere Arbeitsfelder in der Medizin. Die Psychiatrie sollte, etwa im Vergleich zur Organmedizin, finanziell fair ausgestattet werden. Die meisten Menschen oder politischen Vertreter*innen verstehen erst, wie wichtig die Psychiatrie bzw. Psyche ist, wenn sie selbst oder jemand aus ihrem engeren Kreis an einer psychischen Erkrankung leiden. Dabei hat eine psychische Erkrankung für das ganze Gesundheitssystem hohe Folgekosten. Das dürfen wir bei dem Thema auch nicht vergessen. 

Sie haben mit Ihrem Engagement sehr vielen Menschen geholfen. Gibt es etwas, das Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist? Eine Geschichte, eine Begegnung, ein Erlebnis?

Prof. Schöny:

Da gibt es viele Erlebnisse. Es gibt Patient*innen, zu denen ich noch immer persönlichen Kontakt pflege, wo wir wirklich einiges weitergebracht haben. Es gab aber auch immer wieder Patient*innen, die auf die andere Straßenseite wechselten, wenn sie mich gesehen haben. Es schien hier auch eine latente Angst vorzuherrschen, dass sie als psychisch krank eingestuft werden können, wenn sie in der Öffentlichkeit mit mir geredet hätten. Das hat sich aber zum Glück wie gesagt stark geändert. Man spricht jetzt öffentlich über dieses Thema, über die Aktivitäten von pro mente. Der Einsatz von pro mente wird im Rahmen von Events auf der Bühne gewürdigt – so wie letztens bei den Aschermittwoch-Gesprächen der Sparkasse OÖ. Das war in der Anfangszeit eher schwierig.

Sie haben mit ihrer Tatkraft und ihrer Vision viele Spuren im Gesundheitssystem hinterlassen. Gibt es etwas, das Sie anderen, insbesondere auch jungen Menschen, mit auf den Weg geben möchten? Viele fühlen sich psychisch sehr belastet.

Prof. Schöny:

Die junge Generation hat sicher zurzeit viele Probleme. Aber hatte dies nicht jede Generation? Wenn ich jetzt zurückblicke, ich bin in den 1940er-Jahren geboren, war das auch keine ganz einfache Zeit, vor allem für die Eltern nicht. Ich glaube, was ich mitgeben kann, ist, nicht aufzugeben und beharrlich zu sein, auch bei Rückschlägen. Rückschläge hatten wir auch, viele sogar. Nie aufgeben – ja, das ist ganz wichtig.